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  • AutorenbildDr. Florian Hugk



Als die Busse einer voll gestopften Raupe gleich, der eine bergauf, der andere talabwärts kroch, bemerkte ich, dass beide Fahrer genau in der Behäbigkeit ihre Hand zum Gruße erhoben, in der sich auch ihr Gefährt auf dem grauen Asphalt voranschleppte. Beide machten dabei ein Gesicht wie Wuppertaler Regenwetter. Und auch an den Haltestellen rechts und links blies der Wind den Fahrgästen ein wenig davon entgegen.

Zwei Sitzreihen gegenüber hatte ein älterer Herr vor einigen Minuten Platz genommen. Mit schlecht gegelten hellgrauen Haaren, die er zu einer Art Stirnigel nach oben gewuchtet hatte. Sein rotbläulicher Teint verriet seine alltäglichen Vorlieben. Und überhaupt. Sein Gesicht war ziemlich aufgedunsen. In der Mitte glänzte ein feuerroter Zinken, alles auf einem massigen Breihals, der seine Falten zu einem Kropf nach vorne fallen ließ.

Er musste schon seit längerer Zeit eine Atemfahne aus Pilsbier und Korn vor sich her getragen haben, anders konnte ich mir die beißende Penetranz, der von ihm ausgeschnauften Alkoholwolke, nicht erklären. Es war halb sechs. Naja. Kein Bier vor vier. Aber dann anderthalb Stunden Blitzbetankung! Ich sah meinen Vordermann in meiner Vorstellung auch schon am Tresen stehen. Rechte Hand am Pilsglas, linke abgestützt am Barhocker:

Machse mek nomma en U-Boot, Gabi? Auf einem Bein kann man nich stehn!

Und Gabi dann: Wenn gar nix läuft, dat läuft, Peter!

Ja. Dat is dat ja.

Zu Hause gab es als Grundlage Schwarzbrot mit Griebenschmalz und Blutwurst. Dazu Export aus der Flasche. Und dann dieses Zisch-Plopp-und-Schäum-Geräusch, nachdem die Flasche und der Oberkörper wie ein Ypsilon verschmolzen waren. Ek geh no namm Gabi!

Der Vielleicht-Peter schnaufte immer noch. Mittlerweile hatte seine Fuselwolke meine Atemwege wie eine Saugglocke abgedichtet. Zu allem schlecht riechenden Überfluss bekam er an der nächsten Haltestelle auch noch Gesellschaft. Ja, klar, die ziehen noch weiter, dachte ich und beobachtete Vielleicht-Peters Kollegen auch schon, der sich leicht schwankend, nachdem er Vielleicht-Peter schon beim Einsteigen mit gesenktem Kopf und erhobener Hand begrüßt hatte, auf eben diesen zubewegte. Dabei hangelte er sich von Stange zu Stange und Sitz zu Sitz, um bloß nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Er war vielleicht Mitte sechzig. Nach seinem Hautbild zu urteilen, war er starker Raucher. Das helle Poloshirt, das er unter seiner ausgewaschenen Jeansjacke trug, war eigentlich nicht zu klein. Und doch ragte sein behaarter Spitzbauch oberhalb des Gürtels eine handbreit hervor. Als er endlich auf Vielleicht-Peter zukam, fragte er:

Wat maaks Du dann hie? Und schon schämte ich mich fremd, denn ich kannte diese unangenehme Situation. Vor allem dann, wenn man jemanden trifft, den man lieber nicht oder nur zum Guten-Tag-und-guten-Weg-Austausch getroffen hatte. Direkt bekommt man ein schlechtes Gewissen. Man möchte vor lauter Verwunderung über die Unangemessenheit der Frage so etwas völlig absurdes antworten wie „Blumen gießen“. Aber man tut es nicht. Würde man es aber tun, könnte man sich sicher sein, dass einem diese Frage, so gestellt, von diesem Fragenden, nicht mehr gestellt werden würde. So einfach wäre das.

Aber die beiden schengten munter vor sich hin. Von Breihals zu Breihals schnauften sie die Worte heraus. Wie man Bücher abgrasen kann nach Worten, so lauschte ich ihrem Gespräch. Und wie ich atmete dabei. Immer die Luft anhaltend, um nicht permanent dieser Fuselwolke ausgesetzt zu sein und um ja nicht auch nur das Geringste der beiden zu verpassen. Als ich vor lauter Atemlosigkeit meine Luft fontänenartig auspusten musste, entpuppte sich das Gespräch als eine Extra-Einladung zu einer ungewollten Stand-up-Comedy:

Ek moss no namm Pitter. Sollte da wirklich ein Peter im Spiel sein? Ich schmunzelte. Nachdem sich Vielleicht-Peter kurz geräuspert hatte, fragte er seinen Kumpanen, bevor er einige undeutliche Kehlkopflaute herausrülpste:

Un sons?

Und der brummte dann diese existentielle Gemütstirade, die man hier aller Orten auffangen kann wie kalte Regentropfen:

Ja muss, ne.

Wunderbar wie die voran kommen, dachte ich und starrte, ohne etwas zu sehen, aus dem Fenster, als Klaus auch schon zur Gegenfrage ausholte:

Un selbs?

In einem Ausstoß von Ebensoplatt entgegnete Vielleicht-Peter, indem er mehr in sich hinein polterte:

Ja. Wie sollet schon sähn? Schäße!

Vielleicht-Peter räusperte sich und strich sich mehrmals den vollen, blonden Oliba glatt. Derweil glotzten beide mit offenem Mund und leerem Blick auf die junge Frau vor der Fahrertüre, die gerade im Begriff war einzusteigen. Das veranlasste Vielleicht-Peters Sitznachbar dazu sich kurz aber kräftig unter der Achsel zu kratzen. Dann gab er mit einem feuchten Fischblick zu erkennen, dass Vielleicht-Peter jetzt mit allem rausrücken müsse. Vielleicht-Peter musste den Kopf zurück genommen haben, um das Kinn gegen den Hals zu drücken. Anders waren diese Töne nicht möglich:

Ek ben so wat von bödient, raunzte Vielleicht-Peter weiter.

Wat is denn Ambach?

Ach, dat is do ewich de jleiche Leier hie. Da kannse do nu Prost saren!

Vielleicht-Peters Mundkartoffel, die heiß und groß auf seiner Zunge tanzte, duellierte sich inzwischen mit zum Teil heftigen Hustenattacken:

Du wirst lachen, Klos, abbor de Pitter muss mek no dat Watter anschloten und is da schon sitt drie, veer Dag om orbäten, der olle Drömmelpitter. Glaupse der hätt dat mann? Ek wöll man so saren: ek hab dem de ganze Driete do hinjelegt. De janze Driss. Wäße, de mach all de Akeldük füdde Stadt. Unjetz achtich Euro do fü. Achtich Euro! Unne ganze Driss is om droppen. Ek bin sowatt von bödeent. Ek steisch dem getz obbett Dach!

Dann hustete er. Mit Land. Danach schluckte er.

Beim Hinausgehen, der Bus hatte gerade am Hauptbahnhof gehalten, meldete sich der Darm von einem der beiden Possenreißer. Ich konnte und wollte nicht ermessen, wer von den beiden sich diese Flatulenz, die wie dröhnende Trompetensatire klang, auf die Fuselfahne schreiben konnte. Die Brüllmücke tanzte indes zwischen Tür und Angel aus dem Bus. Mit angehaltenem Atem stand ich auf und stürzte kurz hinter den beiden zur Türe hinaus.

Iss ja nu am plästern, ja! Dat is do all ne Drissschäße!, hörte man noch von den Schmörmelbrüdern, als ich meinen Kopf am imaginären Schwall des Trompetenkäfers vorbei zur rechten Seite hinausstreckte. Ich musste nach links. Also einen großen Bogen schlagen. Und den Schritt beschleunigen...






  • AutorenbildDr. Florian Hugk


Ferienzeit ist Lesezeit. Habt ihr schon ein Buch für den Urlaubsstrand eingepackt und mal Lust auf etwas, das wirklich gut geschrieben ist? Dann empfehlen wir Euch „Gewäsch“ von Mats Damm. Der Roman ist schriftstellerisch ein vielschichtiger Text und sprachlich auf einem beeindruckenden Niveau. Am Strand hat man ja endlich mal Zeit für so etwas und kommt gerne mal ins Nachdenken. „Gewäsch“ ist witzig und tiefgründig zugleich und wirft viele Fragen auf. Das Buch erzählt vom egozentrischen Hieronymos Berg, der manipulativen Macht der Medien und der Steuerbarkeit der Massen. Wird sich Hieronymos aus der „stummen Menge der Unbegfragten“ lösen können? Der Roman kostet 15 € und ist im KUUUK Verlag erschienen.

  • AutorenbildDr. Florian Hugk



In meinem Kopf spielen gerade elf Orchester gegeneinander und ich bin der einzige Dirigent, der sie zum Einklang bringen soll. Warum? Na, die WM steht vor der Türe. Aber eine WM in Putins Russland!? Und dann dieser ohnehin schon gehörlose Kapitalismus der Fußballmaschinerie mit seinen überzogenen Gehältern und Ablösesummen – es ist eine maßlose, selbstvergessene Welt geworden. Und jetzt auch noch die politischen Psychopharmaka, die der Fußball absolut nicht gebrauchen kann!? Jeder dehnt doch seinen Begriff von Moral, bis er seufzt. Lohnt sich das Gutsein überhaupt noch?

Oder wie der Titan sagen würde: „Da fehlen eindeutig die Tüppen“.

Wären und wennen gibt es nicht! Wenn nicht dieser komische Zwang wäre, sich damit beschäftigen zu müssen. Und der ganz genauso starke Zwang jeder Beschäftigung damit strikt auszuweichen. Aber natürlich drücke ich am Sonntag die Daumen und werde mir das ein oder andere Spiel auch vor der Flimmerkiste ansehen. In diesem Sinne: Reißt Euch #zsmmn und schreibt Geschichte, Jungs!


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